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nicht-ganz-allein-sunny · 13 days ago
Text
"Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!"
Shakespeares RICHARD III ist vor allem eins: Komplex. Trotz eines zweiseitigen Personenverzeichnisses, in dem alle irgendwie gleich heißen, und einem ersten Akt der zur Hälfte aus einer "Was bisher geschah"-Exposition besteht, lohnt es sich vor Besuch des Stückes den Text mit seinen zig Charakteren, die alle irgendwie miteinander verwandt sind, querzulesen, oder sich zumindest die kurze Zusammenfassung mit Playmobil-Figuren auf YouTube anzuschauen.
Zeitlich setzen wir direkt nach Shakespeares Dreiteiler Henry VI ein. Der dort titelgebende Henry ist nunmehr tot und aktuell regiert der kränkelnde Edward IV das Land. Unser Protagonist Richard, Lord von Gloucester, beginnt das Stück damit, dem Publikum zur erzählen wie missgestaltet er ist, wie sehr er den aktuellen Frieden hasst und wie Böse er eigentlich sein möchte. Richard selbst will eigentlich viel lieber selbst König sein und metzelt sich deshalb in den Akten 1 bis 3 fröhlich einmal quer durch die eigene und die angeheiratete Familie und den restlichen Königshof von England. Doch kaum hat er die Königskrone durch eine Mischung aus Intrigen, Verleumdung und Mord errungen, bahnt sich ein neuer Krieg an, in dem Richard die Herrschaft streitig gemacht werden soll. Auch den Gefolgsleuten von Richard fällt schnell auf: Die Wände haben Ohren und es ist leicht einem irren Tyrannenkönig und seinen Machenschaften zum Opfer zu fallen und wem sein Leben lieb ist, der sollte besser die Beine in die Hand nehmen. Am Ende stirbt Richard, allein und hintergangen, halb wahnsinnig und verfolgt von den Geistern seiner Toten, in der Schlacht und der nächste König besteigt den Thron von England.
Am Schauspiel Leipzig inszeniert Enrico Lübbe Shakespeares Schurkenstück RICHARD III seit der Spielzeit 24/25 ohne viel Kürzungen in der vielschichtigen Handlung und mit einer ganzen Menge an visueller Erzählkraft.
Der von Anne Cathrin Buhtz verkörperte Richard betritt die Bühne zu Beginn der Vorstellung aus dem Publikum heraus zu sanfter Jazz-Musik, leicht tänzelnd, wie ein Spaßmacher, der augenzwinkernd sagen will "Hey. Ich bin doch einer von euch". Auch nachdem sich der Vorhang gehoben hat und das verschachtelte Bühnenbild, welches mit seinen vergitterten Abteilen an ein typisches DDR-Kellerabteil oder auch an einen Schlachthof erinnert, enthüllt wird, wendet sich Richard immer wieder direkt an uns als Publikum, um uns mit leicht säuselnden Worten zu seinen Komplizen machen.
Wir verfolgen Richards Komplott gebannt von unseren Plätzen und fühlen uns durch die Einbindung irgendwie mitverantwortlich für sein Handeln. Ein großer Sympathisant wird aus dem Lord von Gloucester dabei während des ganzen Abends nicht, der zwar körperlich nicht übermäßig brutal daherkommt, charakterlich aber ziemlicher Widerling ist. Trotzdem kommt man nicht umher ihm den tattrigen König Edward IV, der wie ein dementes Gemüse durch den Thronsaal schlurft, oder dessen beiden minderbemittelten Söhnen, die später im Tower von London sterben werden, bei der Herrscherwahl vorzuziehen.
Nach und nach fallen Richards Gegner seinem Henkerspruch zum Opfer. Begonnen wird mit seinem Bruder Clarence, der im Tower durch zwei Mörder mit Moralbedenken, die sich trotz ihrer McDonalds-Tüte und ihren an die Bullyparade erinnernden Kostümen absurd gut in den Abend einfügen, in einer Badewanne ertränkt wird. Nach dem Tod von Edward IV geht es dann den Verwandten der Königin, die mit ihrer opulenten, elisabethanisch-angehauchten Ausstattung stark im Kontrast zu Richards Buissness-Casual-Sippe stehen, an die Halskrause. Die Tötungen erfolgen dabei immer abseits der Bühne, angedeutet durch kurze Standbilder oder gedämpfte Pistolenschüsse. Um so brutaler wirkt es dann, als Richard den in einen schwarzen Plastikbeutel, in dem ihm der Kopf des von ihm zum Verräter erklärten Lord Hastings überreicht wird, einmal mit voller Wucht über die Bühne schmeißt.
Der Rest von Richards Gefolgschaft scheint das nicht so problematisch zu sehen: Er ist ja eigentlich ein Guter! Wer wäre besser für die Krone geeignet? Schaut, er hat sogar zwei Mönche dabei und betet! Kein anderer sollte König sein! Aber warum einer der Mönche eigentlich einen McDonalds-Becher dabei?
Nach der Pause sehen wir uns dem großen, grauen Brandschutzvorhang gegenüber und wie zu Beginn der Vorstellung erhebt sich auch diesmal ein Charakter aus der Mitte des Publikums: Queen Margaret, die Witwe des verstorbenen Königs Henry VI, die nun zusammen mit der Witwe von Edward IV, Lady Anne (die Richard aus Versehen geheiratet hat, weil sie ihn sexuell charmant fand) und Richards Mutter, der Herzogin von York, gegen Gott und die Welt wettert und dabei alles und jeden mit Flüchen und Verwüstungen belegt.
Der gerade gekrönte Richard kommt dazu und könnte davon nicht weniger beeindruckt sein: Es steht Krieg an und die Hälfte seiner Gefolgschaft scheint zum Meutern bereit oder ist bereits vor Skrupel geflohen. Was bietet sich da also mehr an als eine Allianz? Und während Richard Königin Elisabeth noch den Vorschlag unterbreitet er könne ja ihre Tochter heiraten (seine Frau Anne ist gerade zufällig nebenbei gestorben), um die Tatsache das er den Rest ihrer Verwandtschaft und ihre Söhne kurzerhand einen Kopf kürzer gemacht hat wieder aufzubessern, schleift Lord Catsby, den geflohenen Buckingham durch eine Seitentür des Saals auf die Bühne.
Buckingham wendet sich flehend an seinen König, den er bis zum Mord am Prinzenpaar im Tower doch ohne Widerrede unterstützt hat, und während wir darauf warten, dass er zum Sterben hinter die Bühne geschickt wird, beugt sich Richard, Augenkontakt zum Publikum haltend, zu ihm und bricht ihm mit einem lauten KNACK das Genick. Eine akustische Schockwelle in Form von erschrockenem nach Luft schnappen rollt durch den Saal, während sich Richard wieder der Kriegsplanung zuwendet und hinter der Bühne verschwindet. Für uns war das der erster Tote des Abends, dessen Ende wir als aktive Zuschauer erlebten - für ihn nur ein weiterer Toter auf dem langen, blutigen Lebensweg.
An dieser Stelle hebt sich der Vorhang erneut und statt der rotierenden Gitterabteile finden wir uns nun einem leeren Platz, der in Sprühnebel getaucht wird, gegenüber. Richard steht in dessen Mitte, in angedeuteter Schlachtrüstung in Form einer Kettenhaube, und hält hektisch, wie ein gehetztes Tier seinen letzten großen Monolog, während er sich, nicht wie zum Angriff, sondern zur Verteidigung, an sein Schwert klammert. Er steht dabei allein, in das nebelige Licht getaucht, auf der Bühne - denn alle die ihm einst folgten, haben ihn verlassen oder sind durch seine brutalen Ränke umgekommen. Fast schon poetisch wirkt es da, das die Bühne mit schwarzen Leichensäcken gesäumt ist. (Und natürlich von Buckingham, der immer noch tot am Rand liegt). Immer wilder und wahnsinniger wird Richard, verfolgt von den Geistern der Verstorbenen, die im Lichtspiel hinter der vergitterten Rückwand hier und da zum Vorschein kommen. Energisch und panisch wirft der König sein Schwert durch den Raum - bis ihn schlussendlich die Kraft verlässt und er schwach und ermüdet in den schwarzen Leichenberg am Bühnenrand zusammenbricht.
Eine Gestalt betritt die Bühne: Lord Stanley, der Richards Mordlust an den eigenen Reihen gerade so entging. Zu seinem Sakko trägt er eine kleine, unauffällig Halskrause, die ihn für das Zuschauerauge bereits seit einiger Zeit als Abtrünniger im Heer von Richard enttarnt hat. Kurz überprüft er, ob der Tyrann tatsächlich tot sei und verlässt die Bühne dann mit schnellen Schritten, fast als wolle er sagen: Gott sei Dank sind wir den endlich los.
Was dieses Stück von vielen anderen Shakespeare Adaptionen abgrenzt, die ich bisher gesehen habe, ist definitiv der optische Detailreichtum. Sei es der wilde Eber, das Wappentier Richards, den man angekettet zwischen den Gitterabteilen der Bühne erspähen kann, die im Originaltext vorkommenden, hier aber sonst gestrichenen Erdbeeren die sich Richard aus einem Kuchen herauspickt, die sich im Laufe des Stücks übers Bühnenbild verteilenden Leichensäcke oder das großartige Kostümdesign, welches bei genauerem Hinblicken seine ganz eigene Geschichte erzählt. Wie ein Wimmelbild in Bewegtform kommt der Abend daher und lässt einen immer wieder begeistert etwas Neues entdecken. Auch die Tatsache, das im Pausenraum an mehreren Stellen Familienstammbäume zum Stück aushingen, die dem interessierten Zuschauer die historischen Gegebenheiten rund um das Stück näherbringen konnten, rechne ich dem Schauspiel Leipzig hier hoch an.
Die deutsche Übersetzung von Thomas Brasch (Leipziger Fassung von Marion Tiedke) ist klassisch-harmonisch, aber nicht übertrieben geschwollen, und fügt sich so hervorragend in das Gesamtkonzept des Abends ein. Leider muss ich auch hier wieder sagen: Einige wirklich gute Passagen gingen einfach im Eifer des Gefechts unter und konnten ihre Wirkung nicht völlig entfalten - aber das lässt sich bei einem derartige überladenen Stück auch nur schwerlich vermeiden. Als große Hilfe kamen einem hier tatsächlich die englischen Übertitel zugute, von denen ich gerade bei Shakespeare-Adaptionen immer ein großer Fan bin.
Performancetechnisch war der Abend durch die Bank weg brilliant. Anne Cathrin Buhtz spielte Richard wie eine Schauspielerin, die einen Tyrann spielt, an dem ein Schauspieler verloren gegangen ist. Eine geniale Umsetzung, mit genau der richtigen Menge an hinter großen Gesten verstecken Irrsinn, die mir immer besser gefällt, je mehr ich darüber nachdenke.
Queen Margaret war durch Larissa Aimée Breidbach, zumindest nach meinem Empfinden, überraschend jung besetzt. Nachdem ich in der ersten Hälfte des Stücks noch nicht ganz wusste, was ich davon halten soll, hat ihr Auftritt mich im zweiten Teil komplett von der Interpretation überzeugt und war definitiv ein Highlight des Abends. Eine junge Frau, nein eine junge Königin, die alles verloren hat, was ihr Leben ihr noch zu bieten hätte, verbittert und wutentbrannt über alles und jeden, die mit Verwüstungen um sich spuckt wie Galle. Großartig. Verständlich. Bejubelnswert.
Die Rolle des Buckingham wirkte bei Christopher Müller so, als wäre sie ihm auf den Leib geschrieben und Tilo Krügel gab für eine kurze Szene einen fantastischen dementes Gemüse Edward IV ab. Auch die gesamten Doppel- und Dreifachbesetzungen der kleineren Parts waren durch die unverwechselbaren Kostüme, die schnellen Rollenwechsel und die variierende Darbietung so genial gelöst, sodass wir am Ende wirklich überrascht davon waren wie wenige Leute da eigentlich insgesamt tatsächlich auf der Bühne standen.
RICHARD III ist im großen Ganzen ein wahnsinnig wirkungsvoller Abend, der mir dank seiner Liebe zum Detail und der wortwörtlich atemberaubenden Performance immer noch nicht aus dem Kopf gehen will und der sich sowohl für Kenner des Textes als auch für komplette Newcomer lohnt.
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